Lesetipp im Harvard Business Manager

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Workout für das Gehirn

Stress:
Zahlreiche Studien belegen, dass Übungen wie Meditation die Arbeitsweise des Gehirns verändern. Ein Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse und die wichtigsten Lehren für Berufstätige.
Von Christina Congleton, Britta K. Hölzel und Sara W. Lazar
10. Februar 2015 Corbis

In unserer heutigen Geschäftswelt ist das Wort „Achtsamkeit“ in aller Munde. Aber wussten Sie schon, dass hinter diesem scheinbaren Modetrend harte wissenschaftliche Fakten stehen? Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich unser Gehirn verändert, wenn wir mit unserem Bewusstsein wertfrei im aktuellen Moment verharren (also achtsam sind). Diese Veränderungen sind so interessant, dass jeder, der in unserer heutigen komplexen Unternehmenswelt tätig ist (oder zumindest jede Führungskraft), darüber Bescheid wissen sollte.

Wir haben im Jahr 2011 Teilnehmer eines achtwöchigen Achtsamkeitsprogramms untersucht. Dabei stellten wir fest, dass während dieser Übungen die Dichte der grauen Zellen im Gehirn deutlich zunimmt. Seitdem haben auch viele andere neurowissenschaftlichen Labore weltweit untersucht, wie Meditation – eine wichtige Achtsamkeitsübung – das Gehirn verändert. Im gleichen Jahr trug ein Team von Wissenschaftlern der University of British Columbia und der Technischen Universität Chemnitz Daten aus über 20 Studien zusammen, um herauszufinden, welche Bereiche des Gehirns von diesem Veränderungsprozess betroffen sind. Dabei stießen sie auf mindestens acht verschiedene Hirnregionen. Wir möchten uns hier auf zwei Hirnareale konzentrieren, die für Berufstätige besonders interessant sind.

Aus Erfahrungen mehr profitieren
Die erste Hirnregion ist der anteriore cinguläre Cortex (ACC), eine Struktur im Stirnbereich hinter dem Frontallappen des Gehirns. Der ACC ist für unsere Selbstregulation zuständig – also für die Fähigkeit, unsere Aufmerksamkeit und unser Verhalten sinnvoll zu steuern, unangemessene Reflexreaktionen zu unterdrücken und flexibel von einer Strategie zur anderen umzuschalten. Menschen mit geschädigtem ACC neigen zu

Impulsivität und ungehemmter Aggression. Wessen Nervenverbindungen zwischen ACC und anderen Hirnarealen beeinträchtigt sind, schneidet bei Tests zur geistigen Flexibilität schlecht ab: Diese Menschen halten an ineffektiven Problemlösungsstrategien fest, statt ihr Verhalten flexibel an die Erfordernisse der Situation anzupassen. Menschen, die meditieren, erzielen bei Tests zur Selbstregulation dagegen überdurchschnittlich gute Ergebnisse. Sie lassen sich nicht so leicht ablenken und geben häufiger richtige Antworten als die Studienteilnehmer, die nicht meditierten. Außerdem ist ihr ACC aktiver als bei Menschen ohne Meditationserfahrung. Der ACC ist aber nicht nur für die Selbstregulation, sondern auch für unsere Fähigkeit zuständig, aus Erfahrungen zu lernen, um möglichst gute Entscheidungen treffen zu können. Nach Meinung von Wissenschaftlern spielt der ACC möglicherweise eine besonders wichtige Rolle für unseren Umgang mit unsicheren, raschen Veränderungen unterworfenen Situationen.
Eine von acht Hirnregionen, die durch Achtsamkeitsübungen angeregt werden. Das PDF von Fox et al. zeigt die vollständigen Forschungsergebnisse.

Die Resilienz stärken
Die zweite Hirnregion, auf die wir hier eingehen möchten, ist der Hippocampus: In dieser Region hatte die Dichte der grauen Zellen bei den Teilnehmern unseres Achtsamkeitsprogramms zugenommen. Dieses seepferdchenförmige Hirnareal liegt in der linken und rechten Schläfenregion und gehört zum limbischen System, das für unsere Emotionen und unser Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt. Der Hippocampus weist viele Rezeptoren für das Stresshormon Kortisol auf. Studien zeigen, dass er durch chronischen Stress geschädigt werden kann, wodurch unser Körper in eine gefährliche Abwärtsspirale hineingerät. Tatsächlich haben Menschen mit stressassoziierten Erkrankungen wie Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen oft einen auffallend kleinen Hippocampus. All das deutet darauf hin, dass dieses Hirnareal eine wichtige Rolle für die Resilienz spielt – eine weitere Fähigkeit, die wir in unserem heutigen Geschäftsleben mit seinen hohen Anforderungen dringend benötigen.

Bei den Teilnehmern an Achtsamkeitsübungen stieg die Dichte der grauen Substanz im linken Hippocampus.Im Vergleich zur Kontrollgruppe. Quelle: Hölzel et al.
Aber das ist noch lange nicht alles. Neurowissenschaftler konnten nämlich auch zeigen, dass Achtsamkeitspraktiken sich auf Hirnregionen auswirken, die mit Wahrnehmung, Körperbewusstsein, Schmerztoleranz, Emotionsregulation, Introspektion, komplexen Denkprozessen und mit unserem Selbstgefühl zusammenhängen. Es sind zwar noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen notwendig, um diese Veränderungen über einen längeren Zeitraum hinweg zu dokumentieren und die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen. Doch die Beweise, die zeigen, was Achtsamkeit in unserem Gehirn alles bewirken kann, sind jetzt schon mehr als überzeugend.

Fazit
Deshalb sollten wir Achtsamkeit nicht länger als eine Eigenschaft betrachten, die für Führungskräfte zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig ist. Im Gegenteil: Achtsamkeit ist ein absolutes Muss – nur so bleibt unser Gehirn gesund und funktionstüchtig, nur so sind wir zu einer effektiven Selbstregulation in der Lage, können die richtigen Entscheidungen treffen und uns vor schädlichem Stress schützen. Achtsamkeitsübungen kann man in sein religiöses oder spirituelles Leben integrieren oder auch einfach nur als mentales Training betreiben. Wenn wir uns regelmäßig hinsetzen, tief durchatmen und uns vornehmen, achtsam zu sein (vor allem, wenn wir das zusammen mit anderen Menschen tun), kann uns diese Gewohnheit von Grund auf verändern.

Der achtsame Manager
So finden Sie mehr Gelassenheit im Job Zur Autorin
Christina Congleton Christina Congleton ist Beraterin für Führungskräfte und Manager in Veränderungssituationen bei Axon Coaching und erforscht an der University of Denver die Zusammenhänge zwischen Stress und Gehirn. Sie hat ein Magisterstudium im Studienfach Entwicklung und Psychologie des Menschen an der Harvard University absolviert.
Britta K. Hölzel Britta K. Hölzel führt MRT-Untersuchungen zur Erforschung der neuronalen Wirkmechanismen von Achtsamkeitsübungen durch. Nach einem Forschungsstipendium am Massachusetts General Hospital und an der Harvard Medical School ist sie jetzt an der Technischen Universität München tätig. Sie hat an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Fach Psychologie promoviert.
Sara W. Lazar Sara W. Lazar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Psychiatrie am Massachusetts General Hospital und Assistenzprofessorin für Psychologie an der Harvard Medical School. Im Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit stehen die neuronalen Mechanismen, die den positiven Wirkungen von Yoga und Meditation zugrunde liegen sowohl bei gesunden Menschen als auch in der Behandlung von Patienten.